von Stefan » Mo 30. Apr 2007, 12:37
Graubart schaute von seiner Lektüre, einer Schriftrolle aus schwerem Pergament, auf und seine Gefährten an. Sein Blick ruhte lange auf Irenicus, der mit einem schnellen Blick erfasste, dass Graubart keinerlei Unordnung auf seinen Regalen hinterlassen hatte. Graubart stand von seinem Stuhl auf, schob diesen vor ein mit Schriftrollen gefülltes Regal, kletterte hinauf und legte seine Schriftrolle an den alten Platz zurück. Dann nahm er sich ein Stück Brot und eine Scheibe Braten und setzte sich wieder zu seinen Gefährten. Die Spannung nahm mit jedem Bissen des Zwerges zu. „Und? Was hast du entdeckt, Graubart?“ Butterbottom hüpfte aufgeregt auf Lari-Faris Sessellehne herum.
„Nun hetze mich nicht, Butterbottom. Bei aller Gelehrsamkeit darf die Gesundheit des Körpers nicht zu kurz kommen…“ Er griff nach seinem Lederschlauch und spülte die Reste seines Mahls mit einem großen Schluck Bier hinunter. Er stand auf und holte seinen speckigen Lederrucksack, den er neben einem Regal auf den Boden gelegt hatte. Ohne hinein zu sehen holte er einen Stapel dünner Kupfertafeln hervor, die mit Hilfe von Lederschnüren zusammengebunden waren. Der häufige Gebrauch hatte sie an vielen Stellen grün anlaufen lassen. Graubart legte die Tafeln wie ein Buch vor sich hin und lehnte sich zurück.
„Dies sind einige meiner Aufzeichnungen. Im letzten Jahrhundert habe ich alles zusammengetragen, was ich über Drachen und den Drachenkrieg vor etwa 2200 Jahren herausgefunden habe. Vieles ist im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen, zumal die Zeit der Drachenkriege keine Zeit für Geschichtsschreiber war. Zu viele Menschen, Zwerge und Elfen sind im Kampf gegen die geflügelten Unholde getötet worden. Ich habe einige unbezahlbare Quellen, vor allem Tagebücher, gefunden, die möglicherweise das Verschwinden der Drachen und die chaotische Energien in den Norrberga erklären können.“
Irenicus hatte gespannt zugehört und erhob nun seine Stimme: „Ihr seid auf der Suche nach einer Erklärung, warum die Drachenkriege urplötzlich endeten? Meinen Respekt, Zwerg, daran haben sich schon größere Gelehrte als Ihr die Zähne ausgebissen. Was habt Ihr herausgefunden?“
„Eure Neugier ist verständlich. Doch bevor ich Euch meine Erkenntnisse anvertraue, möchte ich, dass Ihr mein Gaeas akzeptiert. Ihr wisst, was das ist? Gerade als Bezwinger solltet Ihr es kennen.“
„Ein Gaeas? Ihr seid kein Magier, wie soll das gehen?“
„Lasst das meine Sorge sein. Seid Ihr bereit, das Gaeas anzunehmen, das dafür sorgen soll, dass Ihr nichts ausplaudert während unserer Reise in die Borrberga?“ Graubarts Blick war sehr ernst, keinerlei Unsicherheit war zu erkennen.
Irenicus schmunzelte. „Einem Bezwinger, einem Meister der Beherrschungsmagie, wollt Ihr, ein Zwerg, ein Gaeas auferlegen? Ich gebe Euch mein Wort, dass ich keine Geheimnisse ausplaudern werde, das ist nicht meine Art. Aber wenn ihr durch das Gaeas beruhigt werdet, so bin ich bereit.“ Sein Lächeln war abschätzig geworden. Er traute Graubart nicht zu, dass er einen mächtigen Zauber wie ein Gaeas gegen einen Magier wirken könne. Bereitwillig kniete er sich vor dem Zwerg nieder, der das Ritual des Gaeas erneut durchführte. Kassandra, Kira und Lari-Fari schauten interessiert zu. Auch sie waren gespannt, ob der Zwerg es schaffen würde.
Graubart sprach die Worte des Gaeas und strich ein wenig Salbe auf die Stirn des Trolls. Dieser atmete erschrocken auf, als die Magie ihre Wirkung tat.
„Ihr seid ein Mann voller Überraschungen, Herr Zwerg! Ihr habt Blutmagie mit Beherrschungsmagie vereinigt. In der Salbe ist Euer Blut, nicht wahr?“ Staunend schaute Irenicus auf die Salbe, die Graubart wieder ordentlich verstaute.
„So ist es, Irenicus. Ich freue mich, Euch als Gefährten begrüßen zu dürfen. Und nun zu den Schriften.“
Graubart öffnete das Bündel Kupfertafeln und las vor:
„Tagebuch von Eigrum Norrbergsclan.
22. Saphirum im Jahre 113 der Regentschaft Tharims, Sohn des Thogram.
Heute mussten wir die Tunnel nach Norden verbarrikadieren. Der feuerspeiende Wurm muss unsere Außenposten überrascht haben, denn seit Tagen haben wir nichts mehr von ihnen gehört. Die Zwerge aus Bilgram, die zu uns geflüchtet sind, berichten von zweibeinigen Kriegern mit Drachenköpfen, die gar schreckliche Gegner sind. Wir werden Boten nach Süden schicken müssen, um von unserer Notlage zu berichten.
24. Saphirum im Jahre 113 der Regentschaft Tharims, Sohn des Thogram.
Der Wurm hat die Barrikaden durchbrochen. Sein Atem ist heiß wie das flüssige Herz der Berge. Unsere besten Krieger werfen sich ihm entgegen. Die Drachenkrieger folgen dem grauen Wurm und hinterlassen Tod und Verderben. Wir werden den Wurm in unsere Binge locken und das Gewölbe zum Einsturz bringen. Die Steinmetze setzen ihr Leben ein, um den Wurm zu besiegen. Unsere Zeit hier ist gezählt.
27. Saphirum im Jahre 113 der Regentschaft Tharims, Sohn des Thogram.
Der graue Wurm hat unsere Binge erreicht. Der Berg bebt. Ich kann nicht weiterschreiben.“
Graubart blätterte um. Er hatte eine gute Erzählstimme und die Gefährten hingen an seinen Lippen.
„Der nächste Text stammt aus dem Tagebuch von Strein Noris’cail Adac, einem Magier. Ich habe die Zeitangaben an unsere Zeitrechnung angepasst.
3. Saphirum im Jahre 113 der Regentschaft Tharims, Sohn des Thogram.
Die Kämpfe im Norden laufen schlecht. Der riesige schwarze Drache scheint unbesiegbar zu sein.
6. Saphirum im Jahre 113 der Regentschaft Tharims, Sohn des Thogram.
Der Angriff des roten Zirkels auf den schwarzen Drachen ist gescheitert. Wie viele von uns müssen noch sterben?
15. Saphirum im Jahre 113 der Regentschaft Tharims, Sohn des Thogram.
Der Schwarze bewegt sich auf Caislenz zu. Wir müssen ihn stoppen. Rasindros Idee, ihn gemeinsam zu versteinern, hört sich gut an. Wir müssen es versuchen. Es ist unsere letzte Chance.
23. Saphirum im Jahre 113 der Regentschaft Tharims, Sohn des Thogram.
Der schwarze Drache bewegt sich mit den Drachenkriegern und einem Dutzend kleinen Drachen weiter auf Caislenz zu. Sie sind noch drei Tage entfernt. Die Vorbereitungen sind fast abgeschlossen. Es muss gelingen.
28. Saphirum im Jahre 113 der Regentschaft Tharims, Sohn des Thogram.
Es ist vollbracht! Der Zauber ist gelungen! Es ist nur noch wenig Zeit, die übrigen Drachen greifen uns mit aller Macht an.“
Graubart drückte seinen Rücken durch und schaute von der Kupfertafel auf, die über und über mit keilförmigen, äußerst akkurat geritzten Zeichen bedeckt war.
„Der nächste Text stammt aus einem Heldenepos der Elfen. Ich habe es auf meinen Reisen durch das Ängd, dem Elfenwald, gehört und versucht, so gut es ging, zu übersetzen und aufzuschreiben. Der Elfenbarde erzählte mir, dass das Lied im Jahre 113 entstanden ist. Zufall?
…
Grauer Rauch liegt über den Wipfeln, das Gebein des Waldes liegt offen.
Der rote Drache schwebt über den Gipfeln, der Krieg gibt nicht viel Grund zu hoffen.
Drei Köpfe des Drachen speien ihr Feuer, die Pfeile der Krieger prallen ab von Schuppen.
Die Drachenarmee ist ein Ungeheuer, sie spielt mit uns wie mit Kinderpuppen.
Die Königin steht in vorderster Reihe, vereinigt der Elfenmagie mächtiger Strahl.
Im Feuer des Drachen gellen die Schreie, Elfenfleisch ist das Drachenmahl.
Der erste Kopf des Drachen vergeht, getroffen von der Magie der Elfen.
Im Drachenfeuer die Königin steht, kein Zauber vermag ihr zu helfen.
Das Brüllen von zwei Köpfen erklingt, voller Wut über den großen Verlust.
Le’rhon, der Barde, sein Lied nun singt, seine Stimme erschallt voll Elend und Frust.
Der Drache spürt die Macht der Gesänge, sucht nach der Quelle des tödlichen Tons.
Er zittert über seine gesamte Länge, der zweite Kopf vergeht dank der Lieder Le’rhons.
Der Kampf im Wald tobt hin und her, Kunst der Jahrhunderte zerfällt zu Asche.
Doch die Elfenkrieger wollen nun mehr, Meisterschütze Sin’meron greift in seine Tasche.
Er schraubt den Kristall auf seinen Pfeil, legt an und zielt auf die Drachenstirn.
Der Stein wirkt wie in magisches Beil, dringt in den Schädel bis ins Gehirn.
Im Todeskampf spuckt der Drache sein Feuer, auch Sin’meron vergeht in den Flammen.
Der Sieg über den Drachen kam den Elfen teuer, doch schweißte er das Volk zusammen.
…“
Graubart ergriff seinen Bierschlauch und nahm einen großen Schluck. „Die Schlacht gegen den roten Drachen muss ebenfalls im Saphirum stattgefunden haben. Das allein sind schon interessante Zufälle. Der letzte wichtige Text stammt von einer kaum bekannten Rasse. Sie nennen sich selbst Vingari. Sie leben versteckt in der Vinge, da sie den Menschen Angst einjagen und gejagt werden.“
Kira begehrte auf: „Wovor sollen wir Menschen schon großartig Angst haben? Vor echten Drachen vielleicht, aber sonst? Was ist so besonders an diesen Vingari?“
„Nun, Vingari sind Gestaltwandler, die tagsüber Menschengestalt annehmen und nachts die Gestalt eines geflügelten Dämons.“ Graubart nickte Kira zu. „Ihr mögt vielleicht keine Angst haben, doch die einfachen Menschen sind ungebildet und würden solch ein Wesen bin in den Tod hinein jagen.“ Kira stimmt Graubart zu. „Da habt Ihr recht. Erzählt weiter!“
Graubart überschlug einige Kupfertafeln und grummelte etwas Tukron in seinen gepflegten Bart. „Fragt mich nicht, woher ich diesen Text habe. Hört einfach zu und versteht.
Schriften des Vingariforschers Rath’meran Vinturias.
07. Aquamarinum im Jahre 113 der Regentschaft Tharims, Sohn des Thogram.
Der Weg in die Norrberga war nicht leicht. In der Nacht wich in den kleinen Drachen aus, die ich zum Glück immer frühzeitig bemerkte. Tagsüber schlief ich an schwer zugänglichen Plätzen. Die Sorge um mein Volk treibt mich an, seitdem die Drachen in die Vinge eingefallen sind. Woher kommt diese Brut? Kann ich sie aufhalten? Ich will nicht überheblich klingen, doch ist Wissen oftmals wertvoller als eine Klinge. Ob meine Brüder das jemals verstehen werden?
32. Onyxum im Jahre 113 der Regentschaft Tharims, Sohn des Thogram.
Auf den Spitzen der Norrberga ist es bitterkalt. Ich weiß nicht, wie lange ist diese Strapazen noch aushalten kann. Durch die unzugänglichen Täler wälzen sich Armeen von Drachenkriegern und Drachen nach Süden. Nur ein paar Mal habe ich große Drachen gesehen. Der Blick über das nördlich gelegene Land der Drachen ist beeindruckend. Eine weite Tundralandschaft mit kleinen Wäldern erstreckt sich bis zum Horizont. Hier und dort sind Drachen und Drachenkrieger zu sehen. Der Großteil des Heeres muss die Norrberga bereits überquert haben.
21. Saphirum im Jahre 113 der Regentschaft Tharims, Sohn des Thogram.
Ich habe mich in ein Waldstück eine Flugstunde von den Norrberga zurückgezogen. Am Horizont ist eine gewaltige Staubwolke zu sehen.
24. Saphirum im Jahre 113 der Regentschaft Tharims, Sohn des Thogram.
Heute Nacht habe ich die Staubwolke untersucht. Mit knapper Not bin ich den Drachen entkommen. Wer immer dies lesen wird: der Krieg ist verloren! Oh Götter, steht uns bei…“
Graubart räusperte sich. „An dieser Stelle war der Text leider nicht mehr zu entziffern. Zum Glück geht er einige Seiten später weiter:
27. Saphirum im Jahre 113 der Regentschaft Tharims, Sohn des Thogram.
Ich habe mich wieder in die Gipfel der Norrberga zurückgezogen. Durch den Pass unter mir ergießt sich die Hauptstreitmacht der Drachen. Das gewaltige Etwas muss die Drachenkönigin sein. Sie hat unzählige Köpfe und ist so groß wie drei der großen Drachen zusammen. Gestern konnte ich beobachten, wie die Königin einen ihrer Köpfe verlor. Es war ein grauer Schädel, der aussah wie ein riesiger Schlagenkopf. Der Aufschrei der Königin ließ die Berge erbeben. Oder war es ein Erdbeben?
28. Saphirum im Jahre 113 der Regentschaft Tharims, Sohn des Thogram.
Wieder erschütterte der Schrei der Königin die Berge. Der Heerzug ist ins Stocken geraten. Ich glaube, die Königin macht kehrt. Leider kann ich nicht erkennen, welche und wie viele Köpfe sie verloren hat. Warum geschieht dies? Es findet kein Kampf mit der Königin statt. Was geschieht mit ihren Köpfen? Ich muss mich weiter zurückziehen. Die Drachen schwärmen aus und sind äußerst nervös.
31. Saphirum im Jahre 113 der Regentschaft Tharims, Sohn des Thogram.
Der Himmel hat sich verdunkelt. Die Drachen kehren zurück. Sie folgen ihrer Königin zurück in den Norden. Ich hoffe, ich bin hier sicher…“
Graubart schlug die Kupfertafeln mit einem metallischen Klappern zu. „An dieser Stelle endet der Text.“
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Stefan am So 6. Mai 2007, 12:00, insgesamt 1-mal geändert.
Ich kann den Wasserhahn nicht zudrehen, wir haben zu Hause nur Hebel...