von Jarek » Mi 20. Jun 2012, 10:45
Wenn man Melia fragte, dann war es ganz klar, wo Irenicus stets zu finden sein muss. Solange die Sonne am Himmel stand, würde er nie seine Bibliothek für mehr als die Fütterungszeiten verlassen. Das war wie ein festes Gesetz an dem man sich orientieren konnte. Wenn man sie also fragte, wo er zu finden wäre, so würde sie antworten, „er verstaubt in der Bibliothek“ oder „er versucht sich neue Spinnweben zuzulegen.“ Natürlich war das absolut übertrieben. Irenicus setzte sich gerne mit einem Buch vor den Turm um es dort zu lesen. Sobald ihn aber eine Idee ergriffen hatte, bei der er nachschlagen musste, verschwand er oftmals für mehrere Tage im Turmkeller und ließ sich dabei lediglich von Marissa stören.
Marissa war Melias Mutter, die sich in der Küche um den Abwasch kümmerte, als Melia die Treppe hinabstürmte. Ein Räuspern und ein scharfer Blick der Mutter auf die schmutzigen Stiefel ließen die Schülerin flüchtig innehalten. Dann jedoch holte die Situation sie wieder ein und rücksichtslos rannte sie mit ihrer Ausrede auf den Lippen weiter. „In meinem Bett liegt eine verwundete Kriegerin und verblutet. Ich muss Irenicus holen, damit er sie heilt.“ Und schon war sie fort.
Marissa blieb mit hochgezogenen Augenbrauen stehen und hielt kurz in ihrer Tätigkeit inne. Sie mochte nicht den ganz so scharfen Verstand wie Melia besitzen oder ihr magisches Talent. Aber was gewisse Dinge betraf, so schien ihre Tochter einfach blind auf beiden Augen zu sein. Zum Beispiel, dass besagte Kriegerin unter Irenicus Klauen verbluten würde. Nicht, weil dieser die Angelegenheit nicht ernst nahm. Aber Irenicus überdachte eine Situation immer aufs Genauste, bevor er sich zum Handeln entschloss.
Nach kurzer Überlegung war sich Marissa sicher, dass die Kriegerin zu der Truppe gehören musste, die vorhin zu Besuch gewesen war. Dann würde sie sich nicht vor dieser fürchten müssen. Natürlich konnte die Kriegerin gefährlich werden, aber sie würde sie nicht grundlos angreifen. Nicht wahr? Schnell öffnete sie den Schrank mit dem Verbandsmaterial. Eine Reihe Tiegelchen, Verbändes und etwas Nähzeug verweilten dort und warteten auf ihren Gebrauch. Sie nahm eine schale und füllte sie mit Verbänden, legte drei Tiegelchen und das Nähzeug oben drauf, bevor sie sich auf den Weg die Treppe hinauf machte.
Melia, die überzeugt davon war, dass ihr Lehrer helfen würde, dachte nicht groß nach und stürmte in die Bibliothek, wo sie lediglich einen Zwerg vorfand, der auf einer Leiter stand um an die weiter oben liegenden Bücher zu gelangen. Der Turm war für die Maßstäbe des Trolls errichtet worden, so dass er sich in seinem Inneren aufrecht bewegen konnte. Aber mit seinen Pranken gab es kein Buch, welches er nicht erreichen konnte. Die Leiter war ein Eingeständnis für seine fast ein Meter kleinere Schülerin.
Zunächst beachtete sie den Zwerg nicht. Stattdessen stürmte Melia durch die Bibliothek und blickte hinter jedes Regal. Dabei rannte sie auch unter der Leiter durch. Etwas achtlos, denn sie stieß so heftig dagegen, dass der Zwerg das Buch fallen ließ und mit den Armen ruderte um nicht runterzufallen. Ob es nun der Schreckenslaut war oder der Frevel des fallenden Buches, Melia befreite es aus ihrer Fixierung und schnell ergriff sie die Leiter, so dass der Zwerg sich wieder fangen konnte. Erst danach hob sie das Buch auf und versuchte den Knick, der sich auf mehreren Seiten gebildet hatte mit der Hand wieder glatt zu streichen.
Ihr neugieriger Blick war dabei auf Graubart gerichtet: „Wer seid ihr denn?“
Milek war noch immer recht blass. Wahrscheinlich würde es auch nicht so schnell besser werden. Immerhin floss das Blut an seinen beiden Fingern nicht mehr so heftig. Snark und er waren hingegen noch halbwegs fitt. Sie waren nur leider unbewaffnet, verfügten darüber hinaus aber über eine Geisel.
Über Irenicus erzählte man sich auch, dass er unliebsame Menschen in Kühe und Schweine verwandelte und sie zum Abendessen verspeiste. Es mochte also absolut nicht ratsam sein, wenn sie den Turm des Magiers erreichten. Er fragte sich zwar ernsthaft, wie der Troll noch so grausam in Gegenwart des kleinen Engels sein könnte, war aber auch nicht gewillt es zu erforschen. Er gab den anderen beiden also ein kurzes Zeichen, welches Kira nicht entging.
„He! Was wird...“
Bevor sie ihren Satz beenden konnte, flog ihr Lari-Fari entgegen. Das Trio versuchte es nicht auf einen Kampf ankommen zu lassen, sondern nahm stattdessen Reiß aus und suchten ihr Heil in der Flucht. Sam der Ray'hn im Arm hielt blickte den Dreien nicht allzu überrascht nach. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn sie wieder handgreiflich geworden wären.